Wohnen der Zukunft: Die Dänen wissen, wie es geht

Kopenhagen ist Architekturhauptstadt 2023. Mit dem Konzept „Living Places“ ist ein Rekord in klimafreundlichem Bauen gelungen.

Wie werden wir in Zukunft leben, bauen, wohnen? Welche neuen Technologien, Ideen und Konzepte braucht es, um die Welt, wie wir sie kennen, auch für kommende Generationen zu erhalten? Fragen wie diesen widmete sich der Welt Architektur Kongress 2023, der unter dem Motto „Sustainable Futures - Leave no one behind“ kürzlich in Kopenhagen stattfand.

Der allgemeine Tenor vor Ort: Klimaneutrales Bauen ist die Hauptaufgabe der Zukunft, wenn es um Stadtplanung und klimaneutrales Wohnen geht. Architektur und Stadtplanung sind sich einig, dass hier und jetzt agiert werden muss, damit in zwanzig bis dreißig Jahren Resultate erzielt werden können. Provokante Pavillons wie eine riesige am Kanal treibende Waschmaschine, die das unternehmerische Greenwashing anprangert oder eine Installation namens „Bio Centre“, die eine öffentliche Toilette darstellt, sorgen für den nötigen Diskurs.

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Der „unPAVILION“ ist ein Statement-Objekt und weist auf die kontraproduktive Natur von Greenwashing hin

Für das alle drei Jahre stattfindende Branchen-Event ist Kopenhagen ein perfekter Austragungsort: Die dänische Hauptstadt ist beispielhaft in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs. Das Radwege-Modell der Kopenhagener etwa wird inzwischen vielerorts kopiert. Und das zu Recht: Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer haben hier genug Platz und teilen sich diesen harmonisch. Kein Hupen, Drängen oder einander auf die Füße steigen. Die Dänen scheinen vollkommen im Reinen mit sich zu sein. Freundliche Worte gibt es hier sowohl beim Kaffee bestellen, als auch von Passanten, die unaufgefordert den Weg zur Metro weisen. Und sogar unterschiedliche Ernährungsformen werden in Kopenhagen vollkommen selbstverständlich akzeptiert. Überall gibt es vegane, gluten- oder laktosefreie Alternativen, ohne die Küche in Verlegenheit zu bringen. Kurzum: Eine Stadt zum Wohlfühlen.

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Durch die spezielle Dachform wird das Musterhaus ideal mit Licht und Luft versorgt - so herrscht gutes Raumklima. Am flachen Giebel  sorgen PV-Anlagen für den Strom, der die Fenster regelt

Wenig verwunderlich, dass auch das Haus mit dem niedrigsten CO2-Fußabdruck aus Kopenhagen kommt: Die „Living Places“ von Velux sind sowohl theoretisches Konzept wie auch konkretes Bauprojekt und basieren auf einer kompletten Life-Cycle-Analyse. Der dänische Dachfenster-Experte präsentiert damit das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses: Die beiden Einfamilienhäuser aus Holz, die hier zur Besichtigung stehen, können mit einem CO2-Fußabdruck von nur 3,8 kg pro m2 und Jahr gebaut werden, das ist drei Mal niedriger als das durchschnittliche, vergleichbare Haus in Dänemark. Das gemeinsam mit Effekt Architects, Artelia Engineers und Enemærke & Petersen entwickelte Projekt geht aus der 2021 lancierten Architektur-Initiative Build for Life hervor und erforscht interdisziplinär, wie ressourcenschonende Architektur der Zukunft aussehen kann.

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Gut fürs Klima und gutes Klima im Haus: Das Modellhaus vereint beides 

„Die beiden Modelle zeigen, wie leicht klimaschonendes Bauen geht. Aber auch, dass es unser aller Einsatz braucht: Manchmal muss zu Gunsten der CO2-Reduktion auf Ästethik verzichtet werden“, erklärt Lone Feifer, Direktorin für nachhaltiges Bauen bei der Velux Gruppe und verweist etwa auf die freiliegenden Heizungsrohre im Wohnzimmer. Dem Besucher fallen diese Mankos allerdings erst auf den zweiten Blick auf. Das angenehme Raumklima und die reduzierte, dänische Designsprache (mit bunten Regalen von Montana, Lampen-Klassikern von Louis Poulsen oder Stoffen von Kvadrat) stehen im Vordergrund.

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Lone Feifer, Direktorin für nachhaltiges Bauen Velux Gruppe

In unmittelbarer Nachbarschaft zu „Living Places“ hat Søren Ejlersen bereits vor fünf Jahren die Weichen für die Zukunft gestellt. Er ist Gründer des BaneGaarden im Kopenhagener Stadtentwicklungsgebiet Jernbanebye. Am riesigen Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs sollte vor einigen Jahren eine Betonwüste entstehen, wie Søren erzählt. Doch der Visionär setzte alle Hebel in Bewegung, startete eine Online-Initiative und konnte Stadt und DSB von seinem nachhaltigen Konzept überzeugen: Aus neun alten Scheunen, die ursprünglich als Holzlager für die DSB (Dänemarks Eisenbahngesellschaft) dienten, wurden die BaneGaarden.

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Visionär Søren Ejlersen hat mit BaneGaarden ein grünes  Kleinod im urbanen Raum geschaffen. Hier wird selbst angebaut und dann verkauft 

Gemeinsam mit einem engagierten Team wurden die heruntergekommenen Hütten renoviert – mit der Methode, wie sie 1908 erbaut wurden, und beherbergen nun Gastronomie sowie Veranstaltungsräume. In dieser urbanen Oase finden sich heute zauberhafte Spazierwege durch wilden Wald neben Gärten, Hühnerställen und Bienenvölkern. Kindergarten-Gruppen und Schulklassen kommen, um das Leben im Einklang mit der Natur zu erlernen und Kreislaufwirtschaft zu verstehen. Ejlersen: „Viele Erwachsene wissen nicht mehr, wie sie Gemüse anbauen oder wie Photosynthese funktioniert. Wir bilden die nächsten Generationen im ressourcenschonenden Handeln aus.“ Der Salat vom Buffet kommt selbstverständlich aus eigenem Anbau.

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Das "Greenhouse" wurde komplett aus Altbestand aufgebaut, darin wird Gemüse angebaut. Es bietet aber auch Platz zum Zusammenkommen

Im Wald versteckt kommen Besucher am pittoresken Gewächshaus („Greenhouse“) vorbei. Es ist ebenso einer der Kongress-Pavillons und ein Leuchtturmprojekt. Das den Bedarf und das Potenzial von Grün-, Bildungs- und regenerativen Räumen im Herzen der Städte hervorhebt und zudem Raum bietet, um sich zu treffen und regenerative Zukunftsperspektiven für die Städte zu erkunden. In den kommenden Jahren wird rund um BaneGaarden ein Wohnviertel entstehen. Grün, nachhaltig und autofrei, versteht sich. Der Entwurf dazu stammt von COBE Architects. Die „Living Places“ als Installation werden dann nicht mehr dort zu finden sein, aber hoffentlich werden die hier vorgestellten Konzepte in die Bauvorhaben einbezogen.

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