Visitenkarte Stiegenhaus: Warum sie früher so viel schöner waren

Stiegenhäuser waren früher meist prunkvoll, heute wirken sie oft nüchtern. Dabei sind sie die Visitenkarte eines Hauses.

Wenig Tageslicht, enge Treppen und gefüllt mit Gerüchen – vom Waschpulver bis zum Küchendunst. Das ist das Bild, das viele von einem Stiegenhaus in sich tragen. Selbst Udo Jürgens hat es schon in seinem Hit „Ich war noch niemals in New York“ besungen: „Er trat ins neon-helle Treppenhaus. Es roch nach Bohnerwachs und Spießigkeit.“

Stiegenhaus ist Visitenkarte des Hauses

Aber so trist muss es wirklich nicht sein. Ganz im Gegenteil. Das Stiegenhaus soll eigentlich die Visitenkarte eines Hauses sein. Dazu können sehr viel die Bewohner beitragen, indem sie pfleglich und wertschätzend damit umgehen und sich an die Hausordnung halten. Aber entscheidend sind die Architektur und Ausstattung eines Stiegenhauses.

Zinshaus in der Siebensterngasse, Fenster zum Hof bringen Tageslicht in den GangNora Schoeller

Zinshaus in der Siebensterngasse im 7. Bezirk: Die Fenster zum Hof bringen Tageslicht in den Gang

Wiener Zinshaus ist Vorbild

Das altehrwürdige Zinshaus zeigt, wie der Eingangsbereich und das Stiegenhaus eine Aufenthaltsqualität haben können. „Diese architektonisch anspruchsvollen Häuser haben etwas Herrschaftliches. Das Entree ist großzügig gestaltet, mit vielen Glas- und Schmiedeeisenelementen, ganz viel Tageslicht und die Treppen sind im Primebereich vielleicht sogar mit einem roten Teppich ausgestattet“, erzählt Jelena Pirker. Sie leitet den Bereich Wohnen Eigentum bei der ÖRAG Immobilien Vermittlung. „Wenn die Hausbesitzer selbst im Haus wohnen, spiegelt sich das auch in der Gestaltung und Pflege des Stiegenhauses wieder – damals wie heute.“

Jelena Pirker von ÖRAG Immobilien Vermittlung Georg Wilke

Jelena Pirker, Leitung Wohnen Eigentum bei ÖRAG Immobilien Vermittlung

 

Viel Platz für Kunsthandwerk

Kunsthistorikerin Margarethe Szeless beschreibt in dem Buch „Das Wiener Zinshaus – Bauen für die Metropole“ (erschienen im Residenz Verlag, herausgegeben von der 3SI Immogroup), wie Architektur und Kunsthandwerk im Eingangsbereich eine Symbiose eingehen. Zum Beispiel zeichneten Glaser für die geschliffenen Glastüren, für ziselierte Glasscheiben und für figurative Motive aus buntem Glas verantwortlich. Stuckateure sorgten für den plastischen Wandschmuck.

Kunstvolles Geländer in saniertem Stiegenhaus in der Nymphengasse in Wien-MeidlingCHRISTIAN HENNINGER

Saniertes Stiegenhaus in der Nymphengasse in Wien-Meidling
 

Kunstvolle Geländer im Stiegenhaus

Besonders reizvoll und typisch für das Wiener Zinshaus sind die gemusterten Fliesen im Eingangsbereich und in den Gängen. Das dominante Element im Stiegenhaus eines Wiener Zinshauses ist das kunstvoll aus Schmiede- oder Gusseisen gefertigte Geländer.

Die Treppen wurden aus Naturstein gefertigt. Vereinzelt kann man heute noch Machtsymbole wie etwa eine Löwentatze am Treppenansatz finden. „Je näher das Haus zur Inneren Stadt liegt, desto prachtvoller ist seine Ausstattung“, beschreibt Pirker.

Treppe aus Stein mit einer Löwentatze aus Stein am TreppenansatzNora Schoeller

Löwentatze als Machtsymbol (18., Währinger Straße)

Im Neubau wird es heller

Im Neubau hat das Stiegenhaus seine Repräsentationsfunktion verloren, Funktionalität steht im Vordergrund. Der Gestaltung des Eingangsbereiches und der Gänge wird heute allerdings wieder mehr Bedeutung geschenkt, bestätigt Jelena Pirker: „Von den 1970er- bis in die 1990-Jahre wurden diese Bereiche dunkel und eng gebaut. Mit dem Einzug der Gemeinschaftsbereiche im Erdgeschoß wird auch das Entree durch große Glasfronten wieder größer, offener und heller gebaut.“

Große, helle Lobby im Wohnturm „Helio Tower“ mit vielen Postkästen und dem Stiegenhaus BUWOG/Stephan Huger

Modern ausgestattete Lobby im Wohnturm „Helio Tower“ der BUWOG in Wien-Landstraße

Stiegenhäuser sind Orte der Begegnung

Stiegenhäuser sind vor allem Orte der Begegnung. Hier holt man seine Post ab, hier wartet man auf den Aufzug oder vielleicht sogar immer noch auf das freie „stille Örtchen“. Laut Margarethe Szeless werden gegenwärtig in Wien noch rund 11.000 Wohnungen mit Gang-WC gezählt.

Oder es kann sich eine kleine Plauderei mit der Nachbarin ergeben. Wie schon vor mehr als 100 Jahren als man sich das Wasser am Gang holte und zum sogenannten Bassenatratsch zusammen kam. Mit der Einleitung von Fließwasser in die Wohnhäuser zog auch die Bassena in das Wiener Zinshaus ein. Der Begriff Bassena leitet sich vom französischen Wort Bassin für Wasserbecken ab und bezeichnet eine Wasserentnahme- und -entsorgungsstelle am Gang eines gründerzeitlichen Zinshauses.

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Wandbrunnen in einem Wiener ZinshausesNora Schoeller

Typischer Brunnen in einem Wiener Zinshauses im 7. Bezirk

Die gute Seele des Hauses

Vom Portier über den Hausmeister zum Concierge: Gibt es eine Ansprechperson im Haus, steigert das das Wohlbefinden der Bewohner. Diese Person ist meist die gute Seele des Hauses, aber ebenso Kontrollinstanz. In einem Gründerzeithaus findet man heute oft noch Hinweise auf die Portierloge, später versah der Hausmeister seinen Dienst mehr oder weniger rund um die Uhr in Mehrparteienhäusern. Er war für die Reinigung und das Auf- und Zusperren der Haustore zuständig und man holte sich den Schlüssel für die Waschküche.

Heute empfängt im Luxussegment der Concierge die Bewohner und Gäste. Geboten werden unterschiedlichste Dienstleistungen, die den Alltag erleichtern und somit zu mehr Lebensqualität führen. Ob Wäsche- und Bügelservice, Zustellung von Lebensmitteln und Getränken oder die Organisation von Handwerkern.

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Was darf vor der Wohnungstüre stehen?

Ein schönes Entree hat seinen Preis

Lässt sich ein repräsentatives Stiegenhaus, eine attraktive Lobby einpreisen? „Wenn im Altbau typische Stilelemente gut erhalten sind und im Neubau viel Komfort und Service geboten werden, dann schlägt sich das auch bei den Eigentums-, aber auch bei den Mietpreisen nieder“, erklärt Jelena Pirker.

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