Umgestaltung: Vom Bauernhof zum zeitgemäßen Wohnhaus

Vom Bauernhof zur klimaaktiven Immobilie: Die Revitalisierung würdigt die Tradition und ermöglicht zeitgemäßes Wohnen.

Es war einmal ein mehr als 150 Jahre alter Tiroler Bauernhof, dessen Mauern schon vieles erlebt haben. Die Bewohner liebten das ehrwürdige Haus und seine Geschichte, strebten aber auch ein modernes und umweltbewusstes Leben an. Da eilte ein Architekt zu Hilfe und hauchte dem historischen Gebäude neue „Landluft“ ein. Und das kam so:

Martina Kopp

Bauernhof revitalisiert 

Mitten im Ortskern der malerischen 980 Seelengemeinde Wildermieming, westlich von Innsbruck, steht seit 1860 der Bauernhof der Familie Strasser-Krissmer. Stall und Stadel wurden schon seit Jahren nicht mehr genutzt, der bewohnte Teil war weit entfernt von einem energieeffizienten Bau. Die Bauleute, Andrea Strasser und Rainer Krissmer, die selbst ein Ingenieurbüro mit Schwerpunkt Energieconsulting und -management betreiben, entschieden sich vor fünf Jahren für eine spannende Revitalisierung statt eines brachialen Abrisses.

Bauleute: "Haben kein neues Land verbaut"

„Es waren zwei herausfordernde Jahre, weil wir hier trotz der umfassenden Bauarbeiten mit viel Lärm, Staub und eingeschränkter Privatsphäre weiter gewohnt und gearbeitet haben“, erzählt Andrea Strasser (Bild: Andreas Strasser & Rainer Krissmer). „Doch die fünf Jahre Planen und Überlegen haben sich ausgezahlt, weil die Neuinterpretation des alten Bauernhofes mit vorgelagertem Obstgarten perfekt in den Dorfkern integriert ist. Und weil kein neues Land verbaut wurde.“ Allerdings musste die Familie den alten Stadel aufgrund massiven Holzwurmbefalls durch einen neuen Holzriegelbau ersetzen.

Architekt Martin Tabernik

Dank der Expertise des Architekten Martin Tabernig bietet dieser nun großzügige Wohnräume, die zum Garten hin eine zusätzliche Lebensqualität ermöglichen. Das Holz dafür stammt aus dem eigenen Waldbestand. „Diese Eigenleistung war maßgeblich, dass es zu keiner Überschreitung des definierten Budgets gekommen ist“, so die Bauherrin. Im ehemaligen Stall unterhalb des Stadels, diskret und introvertiert wie früher, findet heute in den kühlen Räumen die Büroarbeit statt. Hier ist genug Platz und reichlich positive Energie für die insgesamt neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des familiären Unternehmens. Das bewusst klimaaktive Wohnerlebnis unter dem Projekttitel „Landluft“ wurde im Vorjahr mit dem Tiroler Gold-Sanierungspreis ausgezeichnet. Das freut den aus Imst in Tirol stammenden Architekten Tabernig doppelt: „Für mich ist dieses Revitalisierungsprojekt gelungen, da die Erwartungen an das Objekt erfüllt wurden und die Nutzer glücklich sind“.

Julian Raggl

Interview: „Mut für eine Neuinterpretation haben“


Martin Tabernig, Architekt und Lehrbeauftragter an der TU Innsbruck, im Gespräch über den Sinn von Revitalisierung, die Option Neubau und das Thema Ressourcenverbrauch.

Was ist für die Revitalisierung eines Objekts wichtig?

Architektur Tabernig: In erster Linie die Bereitschaft der Eigentümer zur Erhaltung und zu einer Neuinterpretation des Gebäudes. Ob das Objekt Erhaltungswert hat oder nicht, ist neben dem sozialen Kontext auch von dessen baulicher Qualität abhängig. Wesentlich ist das Grundgerüst, wie Fundamentierung, statisches System und Gebäudehülle, um den Erhaltungszustand und die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen abschätzen zu können. Denn revitalisierungswürdig ist beinahe jedes Gebäude. Wichtig ist es, sein Potenzial zu erkennen. Energie- und Ressourcenaufwand ist vor allem in der Grundsubstanz verankert, deshalb ist die Entscheidung für Abbruch und Neubau auch eine ökologische Frage.

Und wann macht eine Erhaltung des Bestands keinen Sinn?

Nicht sinnvoll ist sie dann, wenn ein Objekt in seiner Substanz so stark gefährdet ist, dass die Verhältnismäßigkeit von Aufwand und zu erwartender Qualität unangemessen ist. 

Was war beim Bauernhof ausschlaggebend für die Erhaltung?

Es ist ein gutes Beispiel für die Weiternutzung eines Gebäudes. Es steht für die Möglichkeiten eines   Gebäudes, egal welche Ursprungsnutzung es besitzt. Wesentlich waren hier  die hohe Qualität der eingesetzten Materialien sowie die sorgfältige Planung aller Maßnahmen. 

Wie beurteilen Sie als Experte für energieeffizientes Bauen eine Revitalisierung versus Neubau?  

Wirtschaftlich betrachtet ist eine Revitalisierung schwer zu beurteilen, da eine Gleichwertigkeit im Falle eines Neubaus nicht darstellbar ist. Stellt man Abbruch, Entsorgung und Neubau einer Revitalisierung erhaltungswerter Substanz gegenüber, sollte Wirtschaftlichkeit klar erkennbar sein. Langfristig betrachtet sind jedoch die Auswirkungen von Ressourcenverbrauch durch Neubau in einer ökonomischen Bilanz, die jeder Bürger tragen muss, zu bewerten. Das Umweltbundesamt schätzt derzeit ungenutzte Flächen in Österreich, die mit Gebäuden verbaut sind, auf 40.000 Hektar. Das entspricht etwa der Größe der Stadt Wien. Alleine aufgrund dieses enormen Potenzials ist eine sorgfältige Abwägung zwischen Neubau und einer Weiterentwicklung des vorhandenen Bestandes erforderlich. 

Sie haben neben Architektur auch Agrarbildung und Umweltpädagogik studiert. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie einen alten Baubestand wie diesen Bauernhof zum ersten Mal sehen?

Ich überlege, welche räumlichen Möglichkeiten in dem Gebäude stecken und welche Charaktermerkmale verstärkt oder abgewandelt werden können. 

Was war Ihnen in der Beziehung zu den Bauleuten wichtig?

Das Vertrauen, der Mut zur Entwicklung und die Wahrnehmung der Bauleute vom Gebäude. Beim Projekt war es vor allem das gemeinsame Commitment, dass die Weiterentwicklung des bestehenden Gebäudes einen wichtigen Beitrag für eine Energiewende und das Erreichen von Klimazielen darstellt, ohne auf eine Qualitätssteigerung verzichten zu müssen. 

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