Überschätzt, aber beliebt: Die Sehnsucht nach dem Einfamilienhaus

Noch immer träumt die Mehrheit der Österreicher vom Einfamilienhaus. Die Wohnpsychologie meint: Es ist die am meisten überschätzte Wohnform.

„Im Grünen wohnen, das wäre schön. Ein kleiner Garten, vielleicht ein paar Hühner halten, den eigenen Salat anbauen. Und vom Küchenfenster aus den Kindern beim Spielen zusehen“, verrät ein befreundetes Paar, Mitte dreißig und Altbau-Mieter im dritten Bezirk, seinen Traum. Mit dieser idyllischen Vorstellung sind Sabine und Christian seit Jahren auf der Suche nach dem perfekten Haus. Damit sind sie nicht alleine: Laut einer Umfrage von Integral im Auftrag der Erste Bank wünschen sich 64 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, im Eigentum zu leben. Besonders ausgeprägt ist der Wunsch (72 Prozent) nach den eigenen vier Wänden bei Familien. Bei stetig steigenden Immobilienpreisen bleibt es für viele jedoch beim Wunsch.

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Den Traum vom Eigenheim haben 64 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher

Doch macht der Besitz der Wohnung oder des Hauses auch glücklicher? „Trotz der hohen finanziellen Belastungen existiert die kollektive Sehnsucht nach dem Eigenheim“, sagt der Grazer Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger (www.wohnspektrum.at) und hat auch Begründungen dafür: „Das hat einerseits mit dem Gefühl der Absicherung zu tun. Etwas, das mir gehört, kann man mir nicht mehr nehmen. Damit wird das Bedürfnis nach materieller Sicherheit befriedigt.“ Ein weiterer Faktor ist die Gestaltungsfreiheit im Wohn-Eigentum: „Wir alle wollen unsere Umwelt gerne mitgestalten und auch unser Wohnumfeld. Damit geht einher, dass ich mich immer mehr damit identifizieren kann. Jeder Eingriff in das Haus, in die Wohnung macht sie mehr zum Spiegel oder gar zum Teil der eigenen Persönlichkeit. Das ist die stärkste Form der emotionalen Bindung.“ Bis zu einem gewissen Grad ist dies zwar auch in einem Mietobjekt möglich, aber letztlich eben doch begrenzt.

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Wohnpsychologe Harald Deinsberger-Deinsweger

Traum und Realität

Häufig sei das Bedürfnis nach den eigenen vier Wänden auch von der Kindheit geprägt, so Deinsberger: „Wer im Einfamilienhaus aufwächst, behält dies als Idealvorstellung bei.“ Gerade am Land wird diese Wohnform deshalb auch kaum hinterfragt. „Der Hausbau gehört dazu wie das Heiraten und Kinderkriegen“, so der Psychologe. Die hohe finanzielle Belastung, die damit einhergeht, hält die wenigsten von dem Vorhaben ab. „Vor allem Stadtbewohner haben eine romantisch idealisierte Vorstellung vom Einfamilienhaus. Die Erschwernisse werden ausgeblendet.“ Für die Hauseigentümer überwiegen die erlebten Vorteile. Dennoch: Viele unterschätzen die Belastung, die jahrelangen Entbehrungen, den Arbeitsaufwand und Stress. „Das Einfamilienhaus hat einige Vorteile, aber es ist mit Abstand die aufwendigste Wohnform und ihre Erholungsqualität wird oft überschätzt“, rückt Deinsberger-Deinsweger das Ideal zurecht.

Wartet dann das große Glück?

Dass der Traum vom Eigenheim nicht zwangsläufig zufrieden und glücklich macht, erklärt etwa auch der Psychiater Mathias Hirsch, der dem komplexen Thema ein Buch gewidmet hat. In „Das Haus. Symbol für Geburt und Tod, Freiheit und Abhängigkeit“ erklärt der Psychoanalytiker: „Ein Eigenheim zu kaufen ist eigentlich paradox.“ Laut Hirsch befriedegt der Kauf den Wunsch des Menschen nach Unabhängigkeit – von steigenden Mieter, dem Vermieter oder den nervenden Nachbarn.

Tatsächlich begibt man sich damit jedoch nur in andere Abhängigkeiten: von Banken, Arbeitgebern und dem Job. Natürlich aber auch vom Partner, der mit ins Haus zieht. Hirsch: „Man dachte, man gewinnt mehr Freiheit, stattdessen verliert man sie.“ Und nicht selten kommt es nach dem Hauskauf oder -bau erst recht zu Trennungen. Denn: „Paare, die das Traumhaus als Ziel haben und die damit verbundenen Entbehrungen in Kauf nehmen, warten darauf, dass sich das ersehnte Glück nach Fertigstellung einstellt. Doch häufig kommt dann nichts. Wenn das Glück von äußeren Umständen abhängig gemacht wird, kommt es beinahe zwangsläufig zur Enttäuschung“, schildert auch Harald Deinsberger-Deinsweger.

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Die idyllische Vorstellung deckt sich nicht immer mit der Realität

Generationenkonflikt Einfamilienhaus

Der emotionale Faktor am Eigenheim spielt auch über die Jahre eine entscheidende Rolle. Sind die Kinder groß und aus dem Haus, bleibt den Eltern oft zu viel Raum und zu viel Arbeit übrig. Sich dann wieder davon zu trennen, führt nicht selten zum Generationenkonflikt. Die Kinder hängen daran, kommen aber nur mehr zwei Mal im Jahr auf Besuch. „Meist passt das Haus für eine bestimmte Lebensphase, doch irgendwann stimmt die gewählte Wohnform mit den Bedürfnissen nicht mehr überein. Deshalb ist es sinnvoll, schon beim Bau oder Kauf, die Immobilie in mehreren Lebensphasen durchzuspielen und auch die Möglichkeit des Verkleinerns, des Vermietens oder anderer Nutzung miteinbeziehen.“ Generell rät der Wohnpsychologe, offen miteinander zu sprechen: „Jeder von uns hat unterschiedliche Bedürfnisse, was das Wohnen betrifft. Doch nur wenige können diese auch konkret benennen und oftmals gehen Wünsche und Bedürfnisse auseinander. Gute Kommunikation hilft dabei, Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen.“

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