Neue Bücherwelten: Bibliotheken werden immer mehr zum Lebensraum
Bibliotheken beherbergen heute mehr als Bücher: sie sind erweiterte Wohnzimmer. Die besten Bauten im In- und Ausland.
Bücher auszuleihen, der ureigene Zweck von Büchereien, spielt auch heute noch eine Rolle bei der Planung von Bibliotheksbauten. Sonst aber hat sich viel geändert. Waren sie früher hauptsächlich Orte des Lesens, Lernens und Arbeitens – um allen Menschen den Zugang zu Wissen zu ermöglichen, sind nun andere Funktionen hinzugekommen. Der Grund: Viel Wissen kann heute über das Smartphone abgerufen werden. „Die neue Generation von Bibliotheken hat hauptsächlich den Anspruch, Kommunikationszentrum zu sein“, bringt es Architekt Thomas Pucher, der die neue Unibibliothek in Graz geplant hat, auf den Punkt.
Die Bauten haben den Zweck, Räume anzubieten, wo sich Menschen treffen und Zeit verbringen können. Denn öffentlicher Raum, wo man sich aufhalten darf, ohne etwas konsumieren zu müssen, ist knapp geworden. Aus diesem Grund werden aus Lesetempeln im digitalen Zeitalter attraktive Lernbereiche mit hoher Aufenthaltsqualität.
Um die verschiedenen Funktionen unter einen Hut zu bringen, gibt es in modernen Bibliotheksbauten geschützte Bereiche, wo man sich zurückziehen kann. Und offene Bereiche. Diese Zweiteilung vollzieht sich auch bei der Einrichtung. So gibt es in der Unibibliothek Graz geometrisch streng angeordnete Arbeitsplätze in der Galerie, „während es hin zur Terrasse Loungemöbel gibt, dazwischen gibt es Sofas mit hohen Lehnen, die eine gewisse Privatsphäre gewährleisten“, so Thomas Pucher.
Bibliotheken als "Dritte Orte"
Bibliotheken sollen, neben Zuhause und Arbeitsplatz, zu sogenannten „Dritten Orten“ werden, zu sozialen Orten, wo man sich gerne aufhält. Damit das gelingt, sind viele der neuen Bauten fast rund um die Uhr geöffnet, bei der Planung wird ausreichend Raum für Veranstaltungen eingeplant. Menschen sollen in die Bibliothek kommen, um zu entspannen, Zeitung zu lesen, einen Kaffee zu trinken oder das kostenfreie Wlan zu nutzen.
Als „Wohnzimmererweiterung“ beschreibt Planer Peter Nussbaumer von Dietrich Untertrifaller Architekten ZT den Zweck der neuen Generation von Bibliotheken. Das Architekturbüro hat sich mit seinem Entwurf für die neue Stadtbücherei Dornbirn im Wettbewerb durchgesetzt, im November eröffnet der Neubau. „Die Idee war, dass es neben Bücherregalen auch Spielotheken, Gamingräume, Experimentierzonen und Laborbereiche gibt“, erzählt Nussbaumer. Bei der Planung wurde berücksichtigt, dass es Räume für die Schülerbetreuung sowie für Veranstaltungen braucht. „Wir wollten eine Aufenthaltsqualität schaffen, die viele Menschen dazu animiert, die Bibliothek zu besuchen“, so Nussbaumer. Um den kommunikativen Aspekt des Gebäudes zu verstärken, befinden sich im gesamten Gebäude keine Abtrennungen. Peter Nussbaumer: „Der Pavillon ist offen gestaltet, man kann über alle Ebenen kommunizieren.“
Dasselbe gilt für die Hunters Point Library in New York, die vor wenigen Tagen eröffnet wurde. Die sechs Stockwerke sind nur durch schmale Stiegen miteinander verbunden, es gibt kaum Wände. Digitale und analoge Medien sind in den Regalen bunt gemischt. Die Lesezonen sind in Bereiche für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterteilt. Das Gebäude, das als kultureller Begegnungsort von Steven Holl Architects gestaltet wurde, ist von einem öffentlichen Park umgeben, auch die Dachterrasse und ein Café laden Besucher zum Verweilen ein.
Die neue Bibliothek in Helsinki namens „Oodi“ (übersetzt: Ode) geht noch einen Schritt weiter: Hier ist zwar eine Etage als klassische Bibliothek gestaltet, doch das restliche Gebäude ist für verschiedene Aktivitäten reserviert. Es gibt Studios, Musikräume, man kann sich Instrumente ausleihen. Es gibt Medienräume und einen Makerspace, der wie ein Maschinenraum gestaltet wurde, mit 3-D-Druckern und Nähmaschinen. Hier sind die Mitarbeiter dazu da, Besuchern neue Technologien näher zu bringen. Das Erdgeschoß bietet Raum für Interaktionen mit Kaffeehaus, Kino und Aufenthaltsräumen. Spannend: auch die Bücherausleihe wurde auf neue Beine gestellt – ein Roboter nimmt ausgeliehene Bücher zurück und bringt sie in das richtige Regal.
Auch die National Library in Doha, geplant von Rem Koolhaas, will lebendiger Ort des Austausch sein. Auf einer geschwungenen Bar fahren Bücher im Kreis. Sitzsäcke sorgen für entspanntes Lesen und Schmökern. Wer es konzentrierter mag, nützt einen der Lesesäle oder ein Besprechungszimmer. Außerdem steht ein Computerlabor zur Verfügung, wo man Musik komponieren oder den 3-D-Drucker nutzen kann. Ein anderes Labor mit Blue- und Greenscreen bietet die Möglichkeit, Videos zu drehen. Ein Auditorium mit 200 Plätzen steht für Veranstaltungen und Konzerte zur Verfügung.
All die Beispiele zeigen, wie groß die Rolle der Architektur ist, um Bibliotheken neu zu definieren: Leuchtturmprojekte für öffentlichen Raum und Kommunikationszonen.