Wie Immo-Start-ups die Arbeitswelt von Maklern verändern und worauf PropTechs bei der Digitalisierung der Branche achten sollten.
Langsam öffnet Frau Schwarz die Gartentüre und geht die ersten Schritte in Richtung ihres neuen Eigenheims. Es ist Frühling und die Vögel zwitschern von den Bäumen herab, das Gras im Vorgarten erstrahlt bereits in sattem Grün. Dreht sie sich nach links, sieht sie in der Ferne die Silhouette der Wiener Hochhäuser am Horizont.
Frau Schwarz betritt das Vorzimmer und blickt auf den Boden: Die verlegten Fliesen in Anthrazit gefallen ihr so gar nicht, ihre Freude ist getrübt. Irgendwie hatte sie sich das anders vorgestellt. Deshalb bedient sie den Knopf am Controller und der Boden wechselt die Farbe. Marazzi-Weiß trifft mehr ihren Geschmack. Das ist möglich, weil Frau Schwarz sich gar nicht real in dem Haus befindet. Vielmehr steht sie im Büro eines Bauträgers, trägt eine Virtual-Reality-Brille und durchschreitet ein Haus, das weder ihr gehört, geschweige denn schon gebaut ist.
Möglich macht dies das Wiener Start-up Squarebytes, das sich darauf spezialisiert hat, der fehlenden Vorstellungskraft bei noch ungebauten Projekten etwas entgegenzusetzen. Mithilfe einer VR-Brille können Kunden aber nicht nur durch ihr potenzielles Eigenheim schreiten, sondern gleichzeitig per Knopfdruck Wohnungsausstattungen modellieren und sich durch die Palette der vom Bauträger angebotenen Materialien und Farben klicken.
„Unser neuartiges Kommunikationstool schafft Transparenz. Ich bin ursprünglich nicht aus der Immobilienbranche und konnte nicht verstehen, dass Menschen aufgrund eines Grundrissplans eine Wohnung für eine halbe Million Euro kaufen“, sagt Marcel Nürnberg, einer der Squarebytes-Gründer.
Gemeinsam mit Ari Benz hat er die Firma vor fünf Jahren gegründet, anfangs wurden sie jedoch von den Kollegen in der Immobilienbranche belächelt, Virtual Reality als unnötig empfunden. „Vor drei Jahren hat sich das Blatt gewendet, die Technologie wurde besser, die Akzeptanz größer“, ergänzt Benz.
Gemütlich und wohnlich
Die virtuellen Wohnungen und Häuser, die Squarebytes schafft, sollen möglichst realitätsnah sein, die Renderings wirken wie Fotos, die Einrichtung lebt durch das Unperfekte wie eine Falte im Teppich. Squarebytes‘ Anliegen ist die Emotionalisierung. Hinzu kommt, dass der Spieltrieb der Immobiliensuchenden herausgefordert wird. „Anfangs wussten wir nicht, welche Funktionen gefragt sind und haben die Menschen während des VR-Prozesses beobachtet“, sagt Marcel Nürnberg.
So hätten er und sein Team herausgefunden, dass viele Menschen nach den Muffins, die am Esstisch liegen, greifen oder den Klodeckel öffnen wollen. „Also haben wir dies funktional gemacht. Das Szenario ist so real für die Leute, dass sie wirklich damit interagieren wollen“, sagt der Gründer.
Neben den Virtual-Reality-Anwendungen bietet Squarebytes auch Augmented-Reality-Lösungen für die breite Masse an. Noch nicht realisierte Immobilienprojekte können so durch den Screen eines Tablets oder Smartphones auf den Besprechungstisch oder die grüne Wiese projiziert werden. Über einen Grundrissnavigator kann der Nutzer einzelne Wohnungen anwählen und vergrößern.
„Dank Augmented Reality kann ich eine dreidimensionale Anwendung ohne Computer ausführen. Das ist phänomenal und gibt es in keiner anderen Branche“, sagt Ari Benz enthusiastisch. Mit ihren VR- und AR-Lösungen möchten die Squarebytes-Gründer nun nach dem österreichischen auch den US-amerikanischen Markt erobern, wo Großprojekte mit durchschnittlich 600 Wohnungen pro Immobilie realisiert werden.
Aufbruchstimmung
Squarebytes ist eines von rund 70 PropTechs in Österreich – Start-ups, die auf die digitalen Aspekte der Immobilienbranche fokussieren. „Diese umfassen den gesamten Lebenszyklus – der beginnt schon bei der Objektsuche und inkludiert Finanzierung, Bau, Ausstattung, Verkauf, Vermietung, Instandhaltung und Wiederverwertung“, sagt Julia Arlt, Obfrau der Austrian PropTech Initiative (apti).
Sie sieht einen Wandel in der österreichischen Immobilienwirtschaft – die generell als eine konservative Branche gilt, in der digitale Prozesse und Dienstleistungen nur langsam Fuß fassen. „Digitalisierung ist derzeit ein Führungsthema und wenn es das noch nicht ist, sollte es schnellstens dazu kommen“, sagt Arlt, die hauptberuflich als Global Digital Real Estate Leader bei PwC tätig ist.
Technologie berge immense Chancen für die Stakeholder der Immobilienwirtschaft, sie sei ein Zug, auf den es sich aufzuspringen lohne, so die Expertin. Alleine von Juli bis Oktober 2019 ist die Anzahl der PropTechs in der DACH-Region um fast elf Prozent gestiegen. „Um jedoch nachhaltig am Markt bestehen zu können, ist es unerlässlich, sich mit Themenstellungen rund um Digitalisierung zu beschäftigen“, konstatiert auch Michael Mack.
Als Gründer des Start-ups Immonow bietet er Österreichs fortschrittlichste Immobiliensoftware an und kennt die Besonderheiten der Branche. „Österreich steht im internationalen Vergleich sicherlich noch in der zweiten Reihe – dies aber vor allem bedingt durch rechtliche Rahmenbedingungen, die internationalen Unternehmen den Eintritt auf den österreichischen Markt erschweren“, sagt er.
Gleichzeitig sei die Branche auf der Suche nach gesamtheitlichen Lösungen, die das breite Spektrum an Dienstleistungen und Tätigkeiten abdecken können. Und hier sollten die Immobilienunternehmen ansetzen – denn das Hauptrisiko bestehe darin, nichts zu tun und an traditionellen Verhaltensmustern festzuhalten.
„Wer glaubt, dass die größte Asset-Klasse der Welt immun gegenüber Digitalisierung ist, wird ein böses Erwachen erleben“, sagt Julia Arlt. Gerade der österreichische Markt biete aufgrund seiner Größe einen optimalen Spielraum für PropTechs, schnell Lösungen zu testen und in den DACH-Raum mit etwa 100 Millionen Nutzern einzutreten.
Die bedeutendsten Technologien, die zu einem Umbruch in der heimischen Immobilienbranche führen werden, hat Julia Arlt gemeinsam mit ihrem Team bei PwC erforscht. Das größte Zukunftspotenzial in den kommenden fünf Jahren haben unter anderem künstliche Intelligenz, Virtual Reality, 3-D-Druck oder auch Drohnen. Diese Technologien kommen teilweise bereits jetzt in den Bereichen zum Einsatz, in denen PropTechs am aktivsten sind.
„In Österreich und Deutschland überwiegen die PropTechs aus den Bereichen Immobilienverwaltung und -bewirtschaftung, aber auch Smart Home sowie Visualisierung“, sagt Peter Sittler. Der Lektor für Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft an der FH Wien führt auch an, dass er die größte Veränderung in der Umsetzung von Datenanalysen sieht. „Alle Bereiche der Immobilienwirtschaft sammeln Unmengen an Daten. Diese gilt es auszuwerten, um damit sinnvolle Prognosen treffen zu können“, sagt er.
Chancen und Risiken
Um als PropTech am Immobilienmarkt Fuß zu fassen, sollten die Start-ups bestimmte Anforderungen erfüllen. „PropTechs müssen Immobilienkenntnisse haben und die Leiden ihrer Kunden verstehen, auch ein Distributionskanal für ihre Lösung ist sehr wichtig“, sagt Julia Arlt. Ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz könne auch sein, die Möglichkeit der Entwicklung am Kunden zu nützen und dafür auf Modelle der agilen Entwicklung zurückzugreifen, meint Michael Mack, der mit Immonow selbst ein Unternehmen zur Erbringung von digitalen Dienstleistungen im Immobilienbereich führt.
Als größten Risikofaktor sieht er die Akzeptanz der Branche als auch der Endkunden für neue Technologien.„Abgesehen von finanziellen Gesichtspunkten ist der Zeitpunkt ein ausschlaggebendes Kriterium, welches über den Erfolg eines Start-ups entscheidet“, sagt Mack.
Ein weiteres Problemfeld ist die schwierige Skalierbarkeit in Europa, da der Immobilienmarkt fragmentierter ist als beispielsweise in den USA. „Produkte an Kunden zu bringen ist oft ein schwieriges Unterfangen, und der Sales-Zyklus ist mit über einem Jahr sehr lange und verlangt von den Start-ups Durchhaltevermögen sowie Cashflow“, ergänzt Arlt.
Denn auch für PropTechs ist es essenziell, einen Return on Investment oder Gewinn zu generieren. „Wenn die Geschäftsidee nicht überlebensfähig oder die Konkurrenz zu groß ist, dann scheitert auch ein Start-up mit noch so großzügigen Geldgebern und Förderungen“, meint FH-Lektor Peter Sittler.
Aus für Makler?
Die Frage, ob Digitalisierung und PropTechs eine Gefahr für das bestehende Maklersystem darstellen, Makler also etwa durch Apps ersetzt werden könnten, beantworten alle drei Experten unisono. Die Beratungsleistung könne nicht durch digitale Prozesse ersetzt werden, die menschliche und emotionale Komponente sei wichtig, um Vertrauen zu schaffen. Zudem können digitale Plattformen die Haftung, die ein konzessionierter Immobilientreuhänder verpflichtend haben muss, nicht abdecken.
Nichtsdestotrotz werden sich die Arbeitsweisen der Makler verändern – digitale Tools vereinfachen den Verwaltungsaufwand, neue Medien und Darstellungsmöglichkeiten helfen bei der Visualisierung einer Immobilie – es wird mehr Open-House-Besichtigungen geben, digitale Rundgänge werden Standard. „Schlechte Makler, die keine Ausbildung haben oder unehrlich sind, werden es aufgrund einer transparenter werdenden Branche schwer haben“, sagt etwa apti-Obfrau Julia Arlt.
Sie ist davon überzeugt, dass hybride Makler – die Software-Lösungen mit klassischen Maklerkompetenzen verknüpfen – die Bedürfnisse der Kunden zukünftig besser erfüllen können. Auch iBuyer, deren Ursprung in den USA liegt, werden laut Arlt in den kommenden Jahren den europäischen Markt umgestalten. Diese Instant Buyer erwerben über eine Online-Plattform Wohnimmobilien, um den Verkaufsprozess für ihre Kunden zu vereinfachen und zu beschleunigen.
So der Blick in die Zukunft der Immobilienbranche. Dennoch fasst Digitalisierungsexperte Peter Sittler zusammen: „Aller technologischer Entwicklung zum Trotz: Der Mensch wird weiterhin in unserer dienstleistungsintensiven Branche entscheidend bleiben.“
Aufsperren mit dem Handy
Der Anblick des Maklers mit dem Schlüsselbund, an dem hundert unterschiedliche Aufsperrwerkzeuge baumeln, könnte bald der Vergangenheit angehören: Eine Anwendung, die nicht nur Maklern, sondern auch Garagennutzern, Arbeitenden in Gemeinschaftsbüros oder Wohnungseigentümern den Alltag erleichtert, kommt vom Wiener Start-up Tapkey. Bisher hat sich die Verwaltung von physischen Schlüsseln – etwa für Gemeinschaftsräume oder externe Dienstleister – zeit- und kostenintensiv gestaltet, weshalb das Team von Tapkey an einer Alternative getüftelt hat.
Statt herkömmlicher Schlüssel werden sogenannte Smartphone Keys vergeben – diese lassen sich zeitlich begrenzen und können per Knopfdruck wieder gelöscht werden. „Mit der Tapkey-App steht Anwendern eine Lösung bereit, mit der Schließprodukte von verschiedenen Herstellern genutzt werden können“, sagt Gregor Zehetner, COO bei Tapkey. So können Kunden in Coworking Spaces nicht nur Bürotüren, sondern auch Schließkästen oder Garagen mit unterschiedlichen Schließsystemen öffnen. Dabei verwaltet die App sämtliche Zutrittsberechtigungen und verknüpft sich auch ohne Internetverbindung mit den elektronischen Schlössern.